Entwicklungsprofil Pascal

 

 

 

 

 

 

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Durchfuehrung ET 6-6

ET 6-6 Entwicklungsprofil

 

 

 

Entwicklungsprofil_Pascal

Pascal, 5;8 Monate (68 Monate alt), wurde von seiner Mutter in der Kinderambulanz des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen vorgestellt. Nach Schilderung der Mutter sei Pascal „anders als andere Kinder“, dies äußere sich in motorischen Auffälligkeiten („Ungeschicklichkeiten“) wie in einem auffälligen Sozialverhalten. Pascal lehne zum Beispiel „konstruktives Spielen“ sowie Sport- und Wettkampfspiele in der Kindertagesstätte oder mit befreundeten Kindern ab, außerdem erscheine er „immer so unglücklich“. Seine bevorzugten Freizeitaktivitäten bestünden im Fernsehen oder im Spiel mit seiner Computerspiel-Konsole, mit anderen Kindern tolle er bisweilen auch gerne herum, ziehe sich dabei aber schnell und häufig zurück. Die Mutter wollte sich in der Kinderambulanz neben der Einschätzung des Kinderarztes, der „außer den motorischen Auffälligkeiten keine besonderen Probleme“ sah, eine weitere Meinung einholen.
Schwangerschaft und Geburt von Pascal verliefen ohne Komplikationen, er wurde nach der vollendeten 41. Schwangerschaftswoche spontan geboren, das Geburtsgewicht betrug 4010 g, die Geburtsgröße betrug 51 cm, als APGAR-Werte wurden nach einer Minute „9“, nach fünf Minuten „10“ und nach 10 Minuten ebenfalls „10“ notiert. Pascal begann mit zwölf Monaten zu laufen und sprach die ersten verständlichen Worte mit zehn Monaten, seit dem Lebensalter von etwa 18 Monaten verwendete er Zwei-Wort-Sätze.. Im kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungsheft (gelbes Heft) war durch den behandelnden Kinderarzt zur U9 (65. Lebensmonat) als Vermerk eine „beeinträchtigte Körperkoordination“ notiert, das Hüpfen auf einem Bein und das Balancieren hat Pascal beim Untersuchungstermin nicht gekonnt. Bei vorangegangenen Vorsorgeuntersuchungen wurden keine Auffälligkeiten notiert, bei der Betrachtung der Somatogramme fiel jedoch auf, dass Pascal bei im Entwicklungsverlauf stets durchschnittlicher Körpergröße zunehmend schwerer wurde und seit der U8 ein Körpergewicht jenseits der 97. Perzentile aufwies (Adipositas).
Als Pascal zur Diagnostik vorstellig wurde, fiel er dem Ambulanzteam besonders durch Adipositas auf, sein Körpergewicht betrug bei der U9 vier Monate zuvor 32 kg bei einer Körpergröße von 122 cm.
Er wurde mit dem Altersgruppentest „60 bis 72 Monate“ untersucht, sein Alter tendiert leicht in Richtung der oberen Intervallgrenze. Die Interaktion während der Testdurchführung war zunächst durch Pascals Affektivität geprägt. Er zeigte gesenkte Stimmung, verringerten Antrieb und vermied den Blickkontakt mit dem Untersucher. Trotz wertschätzender Zuwendung und gezielten Lobes des Untersuchers blieb Pascals Affektivität praktisch über die gesamte Testung auffällig. Pascal kam jedoch durchgehend den Aufforderungen zur Aufgabendurchführung nach und bearbeitete die Testaufgaben mit altersangemessener Ausdauer und Konzentration. Der Test konnte in 50 Minuten vollständig durchgeführt werden.

  • Körpermotorik: Pascal erreichte einen Testwert von 2,5 und liegt damit weit unterhalb des Altersgruppenmittelwerts (8,65), was als gravierende Defizite zu bewerten ist. In der Untersuchung zeigte Pascal altersgemäßes Geschick beim Fangen der Bälle, besonders vestibulären Anforderungen konnte er jedoch nicht in altersentsprechender Weise nachkommen. Hierbei schien eine zusätzliche Beeinträchtigung durch seine Körperfülle vorzuliegen, zusätzlich erschienen einzelne Bewegungsabläufe wenig routiniert. Der Tonus war dabei angemessen.
     
  • Handmotorik: Pascal konnte den „präzisen Griff“ (T36) beidhändig und zeigte bei der Stiftführung eine altersangemessene Dreipunkthaltung (T37). Nach Auskunft der Mutter konnte er jedoch nicht mit einer „Schere“ (F13) schneiden, was allerdings nach der Beobachtung seiner Feinmotorik überraschte. Somit erreichte Pascal zunächst einen Testwert von 6,7 und liegt damit unter dem Altersgruppenmittelwert (9,64) im Risikobereich. Die Entwicklungsdimension „Handmotorik“ ist in dieser Altersgruppe durch drei „ sehr leichte“ Items (alle pi > .9) repräsentiert, wodurch jede einzelne Nichterfüllung im Sinne eines Screenings als Alarmzeichen zu bewerten wäre.
     
  • Kognitive Entwicklung: In den Entwicklungsdimensionen „Gedächtnis“ konnte Pascal zwei Aufgaben lösen und erreichte mit 6,7 einen unauffälligen Testwert in der Nähe des Altersmittels (7,79). Die längste von Pascal reproduzierte Zahlenreihe hatte die Länge „4“, dieser Wert liegt oberhalb des Altersmittels von 3,79 (s.a. Tabellenanhang, Tab. E-1 und E-2) und ist somit als unauffällig zu interpretieren.
     
    • Im Bereich der „Handlungsstrategien“ erzielte Pascal mit „2,9“ einen Testwert, der weit unterhalb des Altersgruppenmittelwerts von 7,54 liegt. Da in dieser Altersgruppe Jungen und Mädchen Leistungsunterschiede von 0,34 Testwerten bei gleicher Standardabweichung zeigten, ist die Abweichung des Testwerts von Pascal eher noch etwas höher zu gewichten, somit sind hier gravierende Defizite zu verzeichnen. Dabei fiel auf, dass die Nichterfüllungen leichterer Aufgaben ausnahmslos auf solche Items zurückgingen, die Anforderungen an räumliche Leistungen („Sechsteiliges Puzzle“ (T68, pi = .88; „Perspektivübernahme 2“ (T63, pi = .79) und „Baut Erkennbares“ (F20, pi = .95)) stellen.
    • Im „Kategorisieren“ erreichte Pascal mit „8,2“ einen unauffälligen Testwert (Altersmittel 7,96), lediglich die schwierigen Items „Klasseninklusion“ (T83, pi = .20) und „Kategorien spezifizieren“ (T84, pi = .37) konnte er nicht bewältigen.
    • Auch im „Körperbewusstsein“ lag Pascals Testwert mit „8,3“ etwas über dem Altersgruppenmittelwert (7,33), und ist somit als unauffällig zu bewerten. Pascal gelang lediglich die „Rechts-links-Unterscheidung am Gegenüber“ (T93) nicht, die mit einer Schwierigkeit von pi = .37 die schwierigste Aufgabe dieser Dimension darstellt. Die Menschzeichnung von Pascal wirkte dabei etwas „zerfallen“, der Kopf war nicht vollständig geschlossen, Kopf, Körper und Gliedmaßen waren zum Teil nicht unmittelbar miteinander verbunden, die Anordnung des Gesichts (Augen, Nase, Mund) war nur ansatzweise proportional zueinander wiedergegeben, in der Detailfülle waren jedoch die Mindestkriterien deutlich übertroffen, so wurden zum Beispiel zusätzlich Haare (schwebend), Ohren (ein Ohr fast innerhalb des Gesichts) sowie Hände und Finger, Füße und Zehen (jeweils vollständige Anzahl, jedoch zum Teil unzusammenhängend) gezeichnet (vgl. Menschzeichnung im Testprotokoll).
       

    Insgesamt wurden für Pascal mit dem ET 6-6 umschriebene Entwicklungsdefizite im kognitiven Bereich beschrieben. Während die Testwerte Gedächtnis, Kategorisieren sowie Körperbewusstsein im unauffälligen Wertebereich lagen, wurden in den Handlungsstrategien spezifische Beeinträchtigungen im Bereich räumlicher Leistungen abgebildet, dies wurde durch die Qualität der Menschzeichnung gestützt.

  • Sprachentwicklung: Die Sprachentwicklung wird in dieser Altersgruppe durch die Entwicklungsdimension „Expressive Sprachentwicklung“ abgebildet, welche durch das Testitem „Sechs-bis-acht-Wort-Sätze“ (T109; pi = .99) und das Fragebogenitem „Geordnete Erzählungen“ (F26) repräsentiert wird. Pascals Sprachäußerungen waren dabei durchgehend dysgrammatisch, jedoch fast immer verständlich. Nach Einschätzung der Mutter kann Pascal jedoch „geordnete Erzählungen“ (F26, pi = .96) produzieren, somit erreicht er einen Testwert von „5“, der jedoch weit vom Mittelwert (9,73) nach unten abweicht (gravierende Defizite). Hier ist bereits jede Nichterfüllung im Sinne einer nicht ausgebildeten Basisleistung als Alarmzeichen im Sinne eines Screenings aufzufassen.
     
  • Sozialentwicklung: In der Sozialentwicklung erreichte Pascal einen Testwert von „4“, nach Auskunft der Mutter beteiligt sich Pascal nicht an Regelspielen (F44; pi = .97) und bewältigt noch keine vertrauten Wege („Vertraute Wege (1)“ (F49, pi = .79); „Vertraute Wege (2)“ (F50, pi = .37). Der Testwert liegt etwa eineinhalb Standardabweichungen unterhalb des Mittelwerts (7,57) im Risikobereich. Pascals Nichtbeteiligung an Regelspielen deckt sich mit den Schilderungen der Mutter im Erstgespräch, die Mutter begründete weiter, dass sie Pascal wegen seiner Ungeschicklichkeit sowie seiner schlechten Orientierung und mangelnden Aufmerksamkeit wegen in der Öffentlichkeit nicht allein lasse.
     
  • Emotionale Entwicklung: Die „Emotionale Entwicklung“ ist in dieser Altersgruppe durch 10 Fragebogenitems repräsentiert, Pascals Testwert von „3“ liegt weit unter dem Altersmittel und ist somit als gravierend auffällig zu bewerten. Nach Auskunft der Mutter sind dabei auch mehrer Basisleistungen wie „Trennung über Nacht“ (F58, pi = .82), „Spielt Situationen mit Figuren“ (F61, pi = .97), „Formuliert Regeln“ (F62; pi = .93) und besonders „Emotionslage regulieren“ (F63; pi = .95) bei Pascal nicht zu beobachten, so dass zunächst Hinweise auf besondere emotionale Auffälligkeiten vorliegen.
     
  • Subtest Nachzeichnen: Pascal erzielte 8 Punkte im Nachzeichnen. Auf dem „Bogen 1“ (Linien) konnte Pascal für die „Waagerechte“ (T38; MW = 3,33), die Senkrechte (T39; MW = 3,60) sowie das Kreuz (T41; MW = 3,74) jeweils 2 Punkte erzielen, auf dem „Bogen 2“ (Formen) fertigte er zumindest ein annähernd geschlossenes, annähernd runden Kreis an und erzielte auch hierfür 2 Punkte (T42; MW = 3,05). Quadrat und Dreieck wurden von Pascal durch unzusammenhängende Linien dargestellt, die Gebilde überragten durchweg den Rand der Kästchen und erreichten dabei kein gegenständliches Niveau. Pascals Testwert liegt etwas mehr als zweieinhalb Standardabweichungen unterhalb des geschlechtsunspezifischen Altersgruppenmittelwerts (6,43) beziehungsweise fast exakt zwei Standardabweichungen unterhalb des Altersmittels für Jungen (6,06) und wurde bei unauffälligem Tonus und korrekter Stifthaltung erzielt (gavierende Defizite).

Um die Hinweise auf Beeinträchtigungen räumlicher Leistungen abzusichern, wurden zusätzlich Items aus dem Abzeichentest für Kinder (ATK; Heubrock, Eberl & Petermann, 2004) durchgeführt. Das Verfahren ist für Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren normiert und von daher ist in einer quantitativen Auswertung für Pascal mit dem ATK kein fairer Maßstab gegeben. Pascal verfehlte jedoch bei allen durchgeführten Items die Cut-Off-Werte für Siebenjährige, die qualitative Auswertung des ATK erbrachte eine ähnliche zeichnerische Qualität wie die Zeichenaufgaben des ET 6-6, auch hier wurden je nach Item qualitative Merkmale der Zeichnungen wie Formerfassung, Einbezug von Markierungshilfen, räumliche Ausrichtung und Größe von Pascal nicht wiedergegeben. Somit konnte die Hypothese einer Beeinträchtigung räumlicher Leistungen mit dem ATK gestützt werden.

Abschließende Interpretation: Im Hinblick auf die Fragestellung der Mutter („Entwicklungsdefizite?“) konnten mit dem ET 6-6 umschriebene Entwicklungsdefizite der motorischen, kognitiven und emotionalen Entwicklung abgebildet werden. Die motorischen Auffälligkeiten bestehen unabhängig von Pascals Adipositas in der unzureichenden Integration vestibulärer Anforderungen, die kognitiven Defizite weisen eine Schwerpunkt im Bereich räumlicher Leistungen auf und die von der Mutter im Elternfragebogen angegebenen sozialen und emotionalen Auffälligkeiten decken sich mit ihren übrigen Verhaltensbeschreibungen und den Beobachtungen des Untersuchers während der Testdurchführung. Widersprüchlich nehmen sich jedoch die Diskrepanzen zwischen den Testergebnissen und der Beschreibung der Mutter in den Bereichen der Handmotorik sowie der expressiven Sprache aus, weiter blieb die Ätiologie zunächst unklar.
Im Abschlussgespräch öffnete sich die Mutter und setzte das Ambulanzteam von einem Rechtsstreit um die elterliche Sorge in Kenntnis, der aktuell zwischen Pascals Vater und seiner Mutter ausgetragen wurde. Dabei richtete die Mutter an den Vater den Vorwurf, dass dieser Pascal im Säuglings- und Kleinkindalter wiederkehrend körperlich misshandelt (z.B. heftig geschüttelt) habe.
Auch wenn das tatsächliche Vorhandensein sowie die Art und das eventuelle Ausmaß von Misshandlungen Pascals durch den Vater zunächst nicht überprüfbar sind, wären durch die Annahme von Hirnschädigungen in Folge mechanischer Einwirkungen zumindest Anhaltspunkte für eine Erklärung

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© 2007 Thorsten Macha

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