|
Aktuell liefert die entwicklungspsychologische Literatur keine allgemein anerkannte, umfassende Theorie zur motorischen Entwicklung im Kindesalter. Die Beschreibungen isolierter motorischer Auffälligkeiten erfolgen dabei oft unspezifisch, häufig werden motorisch beeinträchtigte Kinder global als ungeschickt (“clumsy childâ€) beschrieben, ohne dass hieraus zunächst spezifischer Indikationsbedarf ableitbar wäre. Deutliche motorische Beeinträchtigungen treten besonders im Rahmen neurologischer Erkrankungen (z.B. infolge cerebraler Bewegungsstörungen) auf. Häufig ist jedoch auch kein Nachweis einer organischen Ursache möglich, in diesen Fällen weisen die Kinder eher feinneurologische Symptome auf und ihre Beeinträchtigungen werden im Rahmen einer „umschriebenen Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen“ klassifiziert, deren Prävalenz bei etwa 3-6% anzunehmen ist. Motorische Beeinträchtigungen sind im Weiteren auch bei geistig behinderten Kindern häufig zu beobachten.
Bös (2001; S. 2ff) unternimmt eine Differenzierung energetisch determinierter (konditioneller) Fähigkeiten wie Ausdauer- und Kraftfähigkeiten von informationsorientierten (koordinativen) Fähigkeiten wie präzise Bewegungskontrolle und Koordination unter Zeitdruck. Moderiert werden diese beiden Komplexe von verschiedenen Komponenten der Schnelligkeit (Aktionsschnelligkeit-, Reaktionsschnelligkeit) sowie der Beweglichkeit. Motoriktests für Kinder legen ihren diagnostischen Schwerpunkt grundsätzlich auf den koordinativen Bereich, nicht zuletzt wegen dessen weitgehender Unabhängigkeit von konstitutionellen Eigenschaften des Kindes.
Prätorius und Milani (2004) (vgl. a. Dordel, 2000; aber auch Kretschmar, 2003) berichten von sich leicht verringernden motorischen Leistungen über die letzten 25 Jahre. Besondere Diskrepanzen lassen sich jedoch zwischen Kindern aus sozial starken und sozial schwachen Stadtteilen nachweisen, welche die Autoren auf Bewegungsmangel (bei den Kindern aus sozial schwachen Kreisen) zurückführen. Nach wie vor gibt es viele motorisch gut geförderte Kinder, aber die Anzahl motorisch unzureichend geförderter Kinder nimmt stetig zu. Die Schere des motorischen Leistungsspektrums geht (einseitig) immer weiter auseinander, wodurch sich auch die durchschnittlichen motorischen Testleistungen verringern. Während bei der Durchführung veralteter Intelligenztests die Gefahr besteht, Kinder in ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit zu überschätzen besteht bei der Durchführung veralteter Motoriktests eher die Gefahr, Kinder im Vergleich zum heutigen Durchschnitt zu unterschätzen. Dies kann u.U. auch einen Teil der steigenden Zahl motorisch als auffällig befundeter Kinder bei Schuleingangsuntersuchungen (i.S.e. Strenge-Tendenz) erklären.
|