Konzeption
Die POD-4 (Sauter, 2001) untersucht anhand von Bildern die visuelle Unterscheidungsfähigkeit Vierjähriger und greift auf dieselben Aufgaben wie die Prüfung optischer Differenzierungsleistungen für fünf- bis siebenjährige Kinder (Sauter, 1979) zurück. Die Grundlagen der Bearbeitung bilden komplexe Wahrnehmungsleistungen, welche nicht durch eine einzige, allgemein anerkannte Theorie erklärt werden können. Der Autor diskutiert einige Wahrnehmungskonzepte und erläutert dann vor dem jeweiligen Hintergrund, inwieweit testbezogene Minderleistungen interpretiert werden können. Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Bearbeitung sind dabei die Funktionstüchtigkeit des Sinnesorgans Auge sowie des zugehörigen Nervensystems einschließlich der kortikalen Zentren. Von besonderer Notwendigkeit für eine zuverlässige Messung sind in dieser Altersgruppe auch spezifische Teilleistungen im Bereich der Aufmerksamkeit sowie ausreichende Konzentration. Leistungsauffälligkeiten können dann weiter hindeuten auf zum Beispiel ungenügende Lernerfahrungen mit einhergehender verringerter Synapsenbildung (neurophysiologische Perspektive), auf Beeinträchtigungen in der Gestaltwahrnehmung, insbesondere der Lösung von der Gestalt bei der Differenzierung von Details (gestaltpsychologische Perspektive) oder auf unzureichende Dezentrierung (Koordination unterschiedlicher Fixationspunkte) im Rahmen sekundärer Wahrnehmung nach Piaget und Inhelder (2000). Interindividuelle Unterschiede in Bezug auf Geschwindigkeiten einzelner kognitiver Prozesse sowie bezüglich der Reizaufnahme, der Merkmalsverarbeitung und den Suchstrategien werden vom Autor vor informationstheoretischen Erwägungen reflektiert. Im Hinblick auf das Erlernen des Lesens und Schreibens postuliert der Autor folgende Klassen zu verarbeitender Unterscheidungsmerkmale:
- Großdetails: z.B. A O 1 5;
- Kleindetails: z.B. O C G; 3 8;
- Positionen: z.B. P b p d q; 6 9;
- Reihenfolge: z.B. 193 931 391.
Aufgaben
Diese Unterscheidungskriterien spiegeln sich dann auch in den gegenständlichen Aufgaben der POD-4.
Durchführung
Der Test beginnt mit einer ausführlichen Einarbeitungs- und Übungsphase. In der Folge werden 24 Testaufgaben (4 Bögen je 6 Aufgaben) seriell bearbeitet, bei denen eine Bildvorgabe in einer Reihe von jeweils 6 Wahlalternativen wiedergefunden werden soll (s.o.). Dabei weisen die Abbildungen in den Wahlreihen Abweichungen bezüglich unterschiedlicher Kriterien auf: Kleindetail, Detail, Lage, Reihenfolge, Spiegelbild; zum Teil auch kombiniert.
Die Durchführung erfolgt standardisiert. Die Beschreibungen zur Testdurchführung im Manual sind auf die Zuhilfenahme einer Kasperfigur ausgerichtet, durch welche der Testleiter mit dem Kind in Kontakt tritt und die Instruktionen vermittelt. Es wird viel Zeit darauf verwendet, sowohl den Rapport zum Kind als auch dessen Instruktionsverständnis sicher zu stellen. Die verbalen Instruktionen zu den Einzelaufgaben sind standardisiert, als Motivationshilfe können Gummibärchen eingesetzt werden. Für die Bearbeitung der Aufgaben ist keine Zeitbegrenzung vorgegeben, bei Bedarf werden kleine Pausen empfohlen. Der Testleiter protokolliert zunächst zu jeder Aufgabe anhand der Blickbewegungen, inwieweit das Kind seine Entscheidung kontrolliert (K), oder sofort stoppt (S), ohne die übrigen Items anzuschauen, oder aber das Bild am Ende einer Reihe auswählt (E), wodurch eine Unterscheidung zwischen K- und S- Strategie u. U. nicht möglich war. Dann wird das jeweils vom Kind ausgewählte Bild notiert. Abschließend werden anhand einer Checkliste Sozial- und Arbeitsverhalten eingeschätzt. Es wird die Protokollierung der Bearbeitungsdauern der einzelnen Bögen empfohlen.
Auswertung
Die Summe der richtig gelösten Aufgaben liefert den Gesamt-Rohwert, zu dem altersspezifische
- absolute Häufigkeiten,
- T-Werte (50; 10) sowie
- Prozentränge
vorgelegt werden. Zu jeder Einzelaufgabe ist außerdem der Schwierigkeitsindex sowie die Trennschärfe in Bezug auf eine 24 Aufgaben umfassende Gesamtskala angegeben. In einem nächsten, qualitativen Auswertungsschritt werden die Fehlerarten (bzw. Typen richtig gelöster Aufgaben) ermittelt. Zu jeder Aufgabe sind für jede Wahlalternative die zu Grunde liegenden Fehlerarten sowie deren Häufigkeiten in Bezug auf die Normpopulation angegeben, somit können spezifische Leistungsbesonderheiten erfasst werden.
Interpretation
“Hat ein Kind einen Prozentrangwert erreicht, der kleiner als 30 gemäß seiner Altersgruppe ist, so sollte einerseits versucht werden, die Ursachen für den deutlich unterdurchschnittlichen Leitungsstand (sic! s. Standardwerte) zu eruieren und andererseits sollten Überlegungen für entsprechende Fördermaßnahmen angestellt werden” (Manual, S. 52).
Normierung
Es liegen Normen für drei Altersgruppen
- 4;0 bis 4;3 Jahre (n = 183),
- 4;4 bis 4;7 Jahre (n = 150) sowie
- 4;8 bis 4;11 Jahre (n = 226)
(Ngesamt = 559) vor. Die Normstichprobe wurde überwiegend in den Regionen Würzburg und München erhoben und wird darüber hinaus nur wenig beschrieben.
Gütekriterien
Die Durchführung findet mit standardisierten Materialien unter Rückgriff auf standardisierte Instruktionen statt. Die quantitative Auswertung beschränkt sich auf die Auszählung richtiger Lösungen und ist sehr einfach vorzunehmen. Die qualitative Auswertung umfasst einerseits die Identifikation von Fehlerarten sowie die gleichzeitige Berücksichtigung, ob es sich jeweils um einen „häufigen“ oder einen „seltenen“ Fehler handelt. Diese Information ist für jeden einzelnen möglichen Fehler einer Tabelle zu entnehmen. Die Interpretation des Rohwerts erfolgt auf der Grundlage eines Cut-off-Werts (s.o.). Für die (qualitative) Interpretation des Auftretens spezifischer Fehlerarten (bzw. die Häufigkeit ihres Auftretens) vor der Berücksichtigung der Auftretenshäufigkeit der spezifischen Fehlerarten in der Normpopulation werden keine Kriterien angeboten.
Für die Retest-Reliabilitt wurden Werte von r = .89 (nach 3 Monaten; n = 8) und r = .91 (nach 2 Wochen; n = 19) ermittelt. Für die innere Konsistenz (Cronbachs Alpha) einer alle 24 Aufgaben umfassenden Gesamtskala wurde .87 ermittelt, eine Konsistenzschätzung nach der Methode von Spearman-Brown lieferte rtt = .88 (jeweils bezogen auf die Eichstichprobe).
Der Autor sieht die Konstruktvalidität aufgrund augenscheinlicher Plausibilität als gegeben (Manual, S. 34), diskutiert sie jedoch noch weiter auf der Grundlage einer Faktorenanalyse über alle 24 Testaufgaben. Deren Ergebnisse fasst der Autor in einer Zweifaktoren-Lösung mit insgesamt 30.9% Varianzaufklärung (Stichprobe nicht ausgewiesen) zusammen. Dabei laden auf dem 1. Faktor (25.4% Varianzaufklärung) vorwiegend solche Aufgaben hoch, welche die Beachtung von Reihenfolgen oder Kleindetails erfordern, es handelt sich hierbei gleichzeitig um die dem Schwierigkeitsindex nach „schwierigen“ Aufgaben. Auf dem 2. Faktor (5.6% Varianzaufklärung) laden überwiegend solche Aufgaben hoch, bei welchen die Lage der Formen im Raum berücksichtigt werden muss (tendenziell eher leichtere Aufgaben). Der steigende Alterstrend in den Testleistungen (signifikante Mittelwert-Anstiege über die Altersgruppen der Normierungsstichprobe) deutet auf Entwicklungsaspekte. Geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede konnten dabei nicht nachgewiesen werden, Voruntersuchungen deuteten ebenfalls auf die Unabhängigkeit der Testergebnisse von Wohnlage oder Schichtzugehrigkeit. In einer nicht veröffentlichten Lägsschnittstudie wurden von 228 zunächst vierjährigen Kindergartenkindern gegen Ende der ersten Grundschulklasse einzelne schulische Leistungen (Lesen, Schreiben, Rechnen) sowohl objektiv (Tests) als auch über das Lehrerurteil erhoben. Dabei wies eine aufgrund der Leistungen in den schulischen Fertigkeiten post hoc definierte Gruppe von 29 „Risikokindern“ bereits als Vierjährige hochsignifikante Minderleistungen gegenüber den verbleibenden 199 Kindern auf. Ein längsschnittlicher Extremgruppenvergleich (diejenigen Kinder, welche in der POD-4 um mehr als eine Standardabweichung nach oben [n = 27] bzw. nach unten [n = 38] vom Gruppenmittel abwichen) zeigte, dass diese beiden Gruppen sich nach dem ersten Schuljahr auch in ihren schulischen Fertigkeiten signifikant voneinander unterschieden. Es werden weitere empirische Befunde vorgelegt, welche Zusammenhänge zwischen den Leistungen in der POD-4 und anderen Bereichen der Informationsverarbeitung quantifizieren. Danach wurden signifikante, wenn auch durchgängig geringe Korrelationen zu verschiedenen Gedächtnis-, Konzentrations-, Wahrnehmungs- und Intelligenzleistungen aufgezeigt. In der Summe deuten diese Ergebnisse auf eine gewisse Eigenständigkeit der POD-4.
Kritik
Den durch die POD-4 erfassten optischen Differenzierungsleistungen liegen komplexe kognitive Prozesse zugrunde. So ist neben der notwendigen Motivation, Aufmerksamkeit und Konzentration die Beteiligung unterschiedlicher Gedächtniskomponenten, spezifischer visueller Wahrnehmungsprozesse sowie umschriebener Intelligenzbereiche notwendig. Diese lassen sich nicht in einer Theorie vereinen, dennoch bildet die POD-4 einen ausreichend eigenständigen Leistungskomplex ab.
Für die Durchführung ist ein recht hoher Aufwand erforderlich, eine Begründung gelingt dem Autoren jedoch mit dem Hinweis auf die besondere Notwendigkeit, in dieser Altersgruppe fortwährend die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die einzelnen Testaufgaben sicherzustellen. Wünschenswert wäre die eingehendere Charakterisierung der Normierungsstichprobe. Allem Anschein nach handelt es sich hier um eine anfallende Stichprobe, welche zu einem gewissen Anteil auch klinisch auffällige Kinder enthalten dürfte. über deren Selektion (bzw. isolierte Normierung) ließen sich die klinischen Aussagemöglichkeiten der POD-4 erheblich erweitern. In Bezug auf die zur Konstruktvalidierung herangezogene Faktorenanalyse ist anzumerken, dass nicht transparent wird, in welcher Weise die Variablen (Aufgabenlösungen) skaliert wurden. Die insgesamt und besonders bezüglich des 2. Faktors geringe Varianzaufklärung mahnt weiterhin zur Zurückhaltung bei der Interpretation. Auch ist die empirische Belegdecke hinsichtlich der Tauglichkeit der POD-4 als Prädiktor für spätere Lese- Rechtschreibschwierigkeiten bislang dünn. Hierzu sind längsschnittliche Untersuchungen an klinisch auffälligen Populationen notwendig, welche freilich in Bezug auf den dann notwendigen Ersterhebungszeitpunkt im fünften Lebensjahr sehr aufwändig und schwierig planbar sind. Auch wenn die qualitative Fehleranalyse vielversprechende Ansätze hierzu eröffnet, kann es bislang nicht als gesichert gelten, dass das Verfahren tatsächlich zur Identifikation einer spezifischen Risikogruppe geeignet ist. Positiv anzumerken sind die im Manual ausgeführten Beispiele zur gezielten Förderung der optischen Differenzierungsfähigkeit. Weiter besteht die Möglichkeit, das Verfahren in modifizierter Weise „sprachunabhängig“ mit gehörlosen Kindern oder Kindern mit Sprachverständnis-Schwierigkeiten durchzuführen.
Der Einsatz der POD-4 empfiehlt sich in der Praxis insbesondere im Zusammenhang mit bereits spezifizierten förderdiagnostischen Fragestellungen.
[Die vollständige Testbesprechung finden Sie bei Macha, 2002]
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