Neuronale Grundlagen

 

 

 

 

 

 

EDButton2

EDButton2

EDButton2

EDButton2

entwicklungsdiagnostik.de

EDButton2

 

 


Sie befinden sich hier:
 


   entwicklungsdiagnostik.de > Entwicklung >
 

 

 

 

 

 

Entwicklungsbegriff | Neuronale Grundlagen | Entwicklungsstörungen | Entwicklungsrisiken
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Durchfuehrung ET 6-6

Entwicklungsdiagnostik

 

 

Neuronale Grundlagen der Entwicklung des Zentralnervensystems

Zu Beginn der dritten Schwangerschaftswoche (SSW) erfolgt die Induktion der Neuralplatte, das Gewebe des zukünftigen Zentralnervensystems (ZNS) wird erstmals erkennbar. Durch zunächst Falten und spätere Wölbung der Ränder entstehen hieraus die Neuralrinne bzw. dann bis zum Ende der dritten SSW das Neuralrohr. Etwa ab dem 23. Tag beginnen sich sprunghaft die Zellen des Neuralrohres verstärkt zu teilen (Proliferation); bis zu diesem Zeitpunkt sind die Vorläufer der späteren Nervenzellen, die Neuroblasten, noch nicht sehr spezialisiert, wodurch viele kleinere Schäden durch gesundes Gewebe ausgeglichen werden können, die zu einem späteren Zeitpunkt der Entwicklung zu einer Behinderung oder zum Tode führen würden. Im Anschluss an ihre Entstehung wandern die Neuronen jeweils von ihrem Ursprungsort entlang einem Netzwerk von Gliazellen (Stützzellen, i.S.e. “Wegweisers”) zum Ort ihrer Bestimmung (Migration) und ordnen sich zunächst in Schichten, danach in Strukturen an (Aggregation). Etwa nach dem zweiten Drittel der Schwangerschaft (ca. 25. SSW) haben die meisten Zellen des Neokortex ihre Migration abgeschlossen, nur im Kleinhirn setzt sich die Migration bis nach der Geburt fort. Mit dem Erreichen des Zielorts finden nun Prozesse statt, welche die unspezifische Zelle in eine spezialisierte Form wandeln (Zelldifferenzierung): Ausbildung des Neuronentyps, Bildung von Zellfortsätzen und Synapsen. Somit sind zunächst zwar die wichtigen Hirnstrukturen gebildet, durch die jedoch noch spärliche synaptische Verknüpfung sind die beteiligten Neuronen zunächst nahezu funktionslos. Mit dem Wachsen von Dendriten und Axonen (charakteristische Form an den Axonen: Wachstumskegel) erlangen die Neuronen dann zunehmend ihre charakteristische Form und bilden durch neuronale Verknüpfungen (oft über weite Strecken) funktionale Einheiten. Dabei ist zunächst ein üppigeres Wachstum von synaptischen Verbindungen zu beobachten, als es zur Organisation des ZNS eigentlich nötig wäre, somit ist die Informationsverarbeitung im Säuglingsalter zunächst noch ungenau und ineffizient. Bereits ab ca. der 25. SSW setzt der selektive Untergang von Nervenzellen („strategischer Zelltod“, Apoptose) ein und führt zu einem Untergang von bis zu einem Drittel der ursprünglichen Neuronen. Ebenso folgt auf eine anfängliche Überproduktion von Synapsen (blooming) eine (primär posnatale) Phase der selektiven Elimination (pruning), wobei dieser Prozess abhängig ist von der Aktivität der beteiligten Synapsen: verschont bleiben vorrangig aktive funktionale Verbindungen. Bereits pränatal setzt der Prozess der Myelinisierung entwicklungsgeschichtlich älterer Hirnregionen (Rückenmark, Hirnstamm) ein, der in den höheren kortikalen Regionen bis in späte Lebensjahrzehnte hinein reicht. Die Myelinschicht entlang der Axone trägt zur statischen Stützung der Nervenzelle bei, ihre Hauptaufgabe liegt jedoch in der Erhöhung der elektrischen Reizleitungsgeschwindigkeit entlang der Nervenzelle.

Die Fähigkeit der Anpassung des ZNS an eine sich verändernde Umwelt wird als neuronale Plastizität bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist innerhalb gewisser Grenzen auch eine Kompensation etwaiger Schädigungen möglich. Solche Organisationsprozesse erfolgen z.B. über eine Zunahmen der Neuronengröße oder Dendritenlänge, erhöhte Synapsenbildung und Gliazellenaktivität sowie Stoffwechselveränderungen. Dabei sind folgende Prinzipien beobachtbar: 

  • Nichtbenutzung (sowie Deafferenzierung infolge einer Schädigung) kortikaler Bereiche führt zur Übernahme durch Neuronen nahe gelegener Bereiche,
  • erhöhte Benutzung führt zur Ausdehnung kortikaler Repräsentationen,
  • synchroner Input führt zu „Verschmelzung“ derjenigen Bereiche, welche diese Inputs repräsentieren,
  • asynchrone Inputs führen zur Trennung derjenigen Bereiche, welche diese Inputs repräsentieren.

Empirische Befunde stützen die Annahme, dass es jeweils Stadien (spezifische Zeitfenster) in der Entwicklung des ZNS (sensible Phasen) gibt, in denen bestimmte Erfahrungen optimalen (maximalen) Einfluss nehmen und in denen das Ausbleiben von Erfahrung maximalen “Schaden” verursacht. Von Katzen ist bekannt, dass sie nach visueller Deprivation in den ersten acht Lebenswochen sich so verhalten, als wären sie blind: auch wenn die Reizleitung entlang des peripheren Nervensystems (Auge, Sehnerv) intakt bleibt, findet praktisch kaum Informationsverarbeitung im ZNS statt. Auch beim Menschen verfügen verschiedene Areale dabei über eigene Zeitpläne, die für den ungünstigen Fall sensorischer Deprivation das Zeitfenster zum Teil deutlich über den Rahmen normaler Entwicklung offen halten. Die sensible Phase zur Ausbildung der Sehfunktion beim Menschen erstreckt sich etwa bis zum Schulalter, weshalb zum Beispiel Augenfehlstellungen innerhalb dieser Zeit korrigiert werden sollten, danach sind diejenigen Synapsen verloren, die zum Aufbau eines normalen Sehvermögens notwendig gewesen wären. Dabei können auch kritische Wachstumsperioden beschrieben werden: in Phasen erhöhten Wachstums wie z.B. dem (recht kurzfristigen) Entstehen von Gliedmaßen und Sinnesorganen ist der Organismus erhöht anfällig für äußere (Stör-) Einflüsse.

Im Hinblick auf die Organisation des ZNS im Zusammenspiel mit Umwelterfahrungen lassen sich erfahrungserwartende Prozesse und erfahrungsabhängige Prozessen unterscheiden. Erfahrungserwartende Prozesse stehen häufig in Zusammenhang mit solchen Umweltreizen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit für alle Individuen auftreten („erwartet werden können“). Grundlage ist eine Vorbereitung auf die Erfahrung durch Synapsenüberproduktion, dabei sind der Entwicklung tendenziell enge Zeitfenster gegeben. Erfahrungsabhängige Prozesse stehen eher im Zusammenhang mit individuellen Erfahrungen, sie beruhen auf flexibler Synapsenbildung nach Bedarf, sind von kritischen Phasen weitgehend unabhängig und prinzipiell das ganze Leben möglich.

Lernerfahrungen gehen allem Anschein nach mit der Repräsentation räumlich-zeitlicher Aktivitätsmuster im ZNS einher und bewirken synaptische Veränderungen. In Bezug auf “Alltagslernen” sind somit eher Berührungspunkte zu erfahrungsabhängigen Prozessen gegeben. Die Speicherung von Erfahrung findet allem Anschein nach in aktivitätsabhängigen Veränderungen in der synaptischen Übertragung statt. Hebb (1949) formulierte mit der Hebbschen Regel (“Cells that fire together, wire together”) die Hypothese, dass die Synapsen zwischen zwei Zellen, die gleichzeitig aktiv sind, “gestärkt” wird. Somit reichen bei stabilisierten Erregungsmustern bereits geringe Reizstärken an einer präsynaptischen Nervenzelle aus, um auch die postsynaptische Zelle zu erregen. Von weiterer Bedeutung für Lernprozesse scheint die Neubildung von Nervenzellen auch im erwachsenen Gehirn (adulte Neurogenese) zu sein. Studien an Mäusen und Ratten konnten zeigen, dass neu gebildete Zellen im Hippocampus für die dauerhafte Speicherung von Lerninhalten im Kortex als Zwischenspeicher dienen; wird die adulte Neurogenese gehemmt, ist zwar die spontane Lernleistung unbeeinträchtigt, die langfristige Gedächtnisleistung aber deutlich herabgesetzt.

Von Hirnfunktionsstörungen wird gesprochen, wenn der Nachweis einer funktionellen organischen Beeinträchtigung gelingt. Für viele (“neuropsychologischen”) Störungen ist zwar ebenfalls eine organische Ursache anzunehmen, jedoch ist es häufig nicht möglich, eine funktionell wirksame organische Schädigung nachzuweisen. Im Wesentlichen gelingt ein solcher Nachweis über bildgebende Verfahren wie z.B.

  • Elektroenzephalografie (EEG; elektrische Aktivität der Hirnrinde),
  • Angiographie (Gefäßdarstellung mit Hilfe eines Röntgenkontrastmittels),
  • Computertomografie (CT; rotierender Röntgenstrahl ermöglicht dreidimensionale Gewebedarstellungen),
  • Kernspin- oder Magnetresonanztomografie (MRT; weit genauere Auflösung als CT),
  • Positronenemissionstomografie (PET; radioaktiv angereicherter Sauerstoff und Glukose machen Stoffwechselprozesse im Hirn sichtbar),
  • funktionelle Kernspintomografie (fMRT; ermöglicht zusätzlich zur Darstellungen von Gewebe auch die von Stoffwechselprozessen),
  • Single-Photon-Emissionscomputertomografie (SPECT; ähnlich dem PET, aber mit genauerer räumlicher Auflösung).

Schädigungen des sich entwickelnden ZNS lassen sich entweder

  • nach dem Zeitpunkt des Einwirkens und/oder
  • nach der Art der Einwirkung

systematisieren. Nur beide Aspekte gemeinsam erlauben eine differenzierte Beschreibung der organischen Beeinträchtigung und eine Prognose des Entwicklungsverlaufs. Ursachen für Hirnfunktionsstörungen sind im Wesentlichen zu sehen in

  • genetischen Ursachen (genetische Syndrome, z.B. Down-Syndrom, Prader-Willi-Syndrom, Williams-Beuren-Syndrom),
  • Intoxikationen (z.B. durch Substanzmissbrauch wie z.B. bei der Alkoholembryopathie),
  • Stoffwechselstörungen (metabolische Veränderungen; häufig in Zusammenhang mit genetischen Erbgängen, wie z.B. Mukoviszidose, Phenylketonurie),
  • Infektionen (der Mutter [z.B. Röteln] und des Kindes, z.B. infolge Meningitis),
  • Traumata oder Tumoren (mechanische Einwirkung auf das Gewebe, z.B. infolge Lageanomalien, Blutungen, Unfälle) sowie
  • Geburtskomplikationen (z.B. Sauerstoffmangel, Sepsis).

 

Tabelle. Ausgewählte Fehlbildungen des ZNS und mögliche Ursachen (modifiziert nach Petermann, Niebank & Scheithauer, 2004, S. 87).

   Neuralrohr

  • Anenzephalie: besonders die entwicklungsgeschichtlich älteren Hirnteile fehlen weitgehend oder vollkommen, vermutlich aufgrund von Fehl-/Mangelernährung der Mutter.
  • Spina Bifida: Spaltenbildung der Wirbelsäule infolge unvollständiger Schließung des Neuralrohres; aufgrund Infektionen der Mutter, Mangelerscheinungen.

 

   Migrationsstörungen

  • Heterotopie: fehlgeleitete Bereiche grauer Substanz in der weißen Substanz, vermutlich genetische Ursachen.
  • Lissenzephalie: keine Bildung von Gyri und Sulci, verringerte Zelldichte im Großhirn; schwere geistige Behinderung, genetisch.
  • Makrogyrie/Megaloenzephalie: weniger zahlreiche aber dafür größere Gyri, genetische Ursachen.
  • Mikropolygyrie/Polymikrogyrie: Kleinere aber dafür zahlreichere Gyri, genetische Ursachen.

 

   Myelinisierungsstörung

  • Pelizaeus-Merzbacher-Krankheit: im Säuglings- oder Kleinkindalter einsetzende Hirnsklerose mit Zerfall der Myelinschicht, globale Beeinträchtigungen, genetische Ursachen.

 

Google
 


 

Entwicklungstest: Primäremotionen

Entwicklungstest: visuomotorische Koordination

Entwicklungstest: Explorationsverhalten

Entwicklungstest: Handlungsstrategien

Entwicklungstest: Ganzkörperkoordination

entwicklungsdiagnostik.de: Navigation

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Seitenanfang
 

 

 

EDButton2

EDButton2

update entwicklungsdiagnostik.de/neuronale_grundlagen

EDButton2

© 2007 Thorsten Macha

EDButton2