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Test A-Z | Testgüte | Standardwerte | Empfehlung
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Durchfuehrung ET 6-6

Entwicklungsdiagnostik

 

 

Begriffsbestimmung: Was verstehen wir unter einem Test?

Der Begriff Test wird in der Psychologie in mehreren Bedeutungen verwendet. In unserem Zusammenhang bezeichnet der Begriff das Bestreben, mit einem Werkzeug (Instrument) systematisch Informationen zu sammeln. Tests sind also im Idealfall Instrumente, die etwa dem Kinderpsychologen, Pädagogen oder Kinderarzt bei der Erfassung und Beschreibung der Eigenschaften von Kindern gute Dienste leisten. Minimal sollten Tests deshalb folgende Forderung erfüllen:

    Die Durchführung eines psychologischen Tests sollte in Bezug auf eine diagnostische Fragestellung denjenigen Informationsgewinn übersteigen, der innerhalb des gleichen Zeitraums bei einer bloßen Inaugenscheinnahme des Kindes zu erwarten wäre.

Psychologische Tests sollten einigen weiteren Anforderungen entsprechen. Die wichtigsten Anforderungen werden im Weiteren ausgeführt.

 

Tests müssen wissenschaftlichen Kriterien genügen

Dies bezieht sich sowohl auf seine inhaltlichen Grundlagen (Was soll gemessen werden und wie soll es gemessen werden?) als auch auf Exaktheit bei seiner Konstruktion. Die so selbstverständlich anmutende Forderung nach Wissenschaftlichkeit ist jedoch häufig nur schwierig einzuhalten und noch schwieriger zu überprüfen. Obwohl im Allgemeinen Konsens darüber besteht, wie in der Psychologie ein Test konstruiert werden sollte, um wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, wird es im Einzelfall auch unter Experten immer wieder unterschiedliche Sichtweisen geben. Eine ganz wesentliche Forderung ist jedoch unstreitig: die lückenlose Dokumentation bei der Entwicklung und Erprobung eines Verfahrens. Für den Testentwickler bedeutet das Folgendes: er sollte in den Gegenstand (das zu erfassende Merkmal) seines Tests (z.B. Intelligenz, Entwicklungsbereiche, depressives Verhalten) theoretisch einführen und eine inhaltliche Begründung geben, warum der Test so misst, wie er misst. Er sollte weiter die einzelnen Stadien der Testentwicklung, die Ermittlung der Vergleichsdaten (Normen), die Ergebnisse relevanter Berechnungen (z.B. zu den Gütekriterien) sowie die Umstände deren Zustandekommens in angemessener Form dokumentieren.

    Beispiel: Ein Motoriktest zitiert eine Studie zur Beobachterübereinstimmung. Nach der Einschätzung von Videoaufnahmen (auf der Basis von 10 Kindern) wurde eine Übereinstimmung zwischen verschiedenen Beobachtern von 92% ermittelt. Dies deutet zunächst auf eine sehr gute Übereinstimmung hin und ist im Hinblick auf die Testgüte somit als eine gute Objektivität des Verfahrens interpretierbar.
    Etwas vorsichtiger bei der Bewertung müsste man sein, wenn etwa folgende Tatbestände vorliegen:
    (a) Die Studie stützt sich auf nur zwei Beobachter (Beurteiler), die zudem aus dem Team der Testautoren gebildet wurden. Aufgrund der geringen Anzahl und aufgrund der mangelnden Repräsentativität der Stichprobe (die Testautoren könnten etwa als ausgewiesene Experten gelten, die mit normalen Anwendern nicht vergleichbar sind) tragen die Ergebnisse nur wenig zur Einschätzung der Objektivität des Tests bei.
    (b) Die Beobachtung bezieht sich ausschließlich auf die Videobeobachtung körperlich schwer beeinträchtigter Kinder, der Test soll aber praktisch für alle Kinder anwendbar sein. Somit stünde immer noch offen, ob sich bei motorisch unbeeinträchtigten Kindern eine ähnlich hohe Übereinstimmung zwischen Beurteilern ergäbe, oder ob der hohe Übereinstimmungsgrad daraus resultiert, dass die Kinder auf den Videoaufnahmen aufgrund ihrer Erkrankung nur einen kleinen Anteil der Testaufgaben überhaupt bearbeiten und somit nur wenige Aufgaben lösen konnten.

In diesem Beispiel wäre von den Testautoren zu verlangen, dass sie vollständige Angaben zu den Studien vorlegen. Eine sorgfältige Dokumentation wirkt dann darauf hin, dass unabhängig von den Auffassungen anderer Experten jeder Anwender eine eigene Bewertung des Tests vornehmen kann. Damit bei aller Verschiedenartigkeit von Tests ein gewisser einheitlicher Rahmen gegeben ist, wurden von der APA, der American Psychologial Association in Kooperation mit zwei weiteren amerikanischen Wissenschaftsverbänden Standards für psychologisches Testen formuliert, die auch auf deutsch publiziert sind (American Educational Research Association, American Psychological Association & National Council on Measurement in Education, 1999; dt.: Häcker, Leutner & Amelang, 1998).

 

Tests müssen routinemäßig anwendbar sein

Als Test bezeichnen wir nur solche Verfahren, die unter gewissen Rahmenbedingungen handwerksmäßig (standardisiert) durchgeführt werden können. Diese Voraussetzungen können sich auf äußere Gegebenheiten (z.B. Räumlichkeiten, Materialien, Zeitvorgaben, bestimmte Testpersonen) wie auch auf Eigenschaften des Testanwenders selbst beziehen: ein in der Durchführung anspruchsvoller Intelligenztest erfordert einen erfahrenen Anwender, während der Mann-Zeichen-Test (Ziler, 2000; s. a. Brosat & Tötemeyer, 2007) in der Durchführung leicht erlernbar und ohne weiteres auch vom Praxisfachpersonal durchführbar ist. Zu fordern ist aber von jedem Test, dass die Anwendung (Durchführung, Auswertung, Interpretation) ausführlich und nachvollziehbar im Testhandbuch beschrieben wird.

 

Einzelfallaussagen sollten mit Normen verglichen werden

Im Allgemeinen wurde hierzu von den Testentwicklern zunächst eine Gruppe von Menschen mit dem Test untersucht und deren Leistungen dokumentiert. Auf der Grundlage einer solchen Eichstichprobe (Normenstichprobe) werden nun individuelle Bewertungen wie z.B. durchschnittlich, weit überdurchschnittlich oder auffällig möglich (normorientierte Diagnostik). Die Bewertung eines Testresultats kann aber auch an inhaltlichen Kriterien orientiert sein (kriteriumsorientierte Diagnostik). Hierzu zwei Beispiele:

  • Beispiel 1: Ein Fahrlehrer möchte seinen Schülern im theoretischen Unterricht die Rechts-vor-links-Regel vermitteln. Im Anschluss an die Theoriestunde verteilt er Prüfbögen mit Aufgaben zur Vorfahrtregelung. Löst ein Fahrschüler zum Beispiel 90% der Aufgaben richtig, so kann eine Bewertung normorientiert erfolgen:·da die anderen Fahrschüler der Gruppe im Durchschnitt nur 70% der Aufgaben lösen konnten, schneidet unser Fahrschüler überdurchschnittlich ab und ist somit ein guter Schüler. Eine kriteriumsorientierte Bewertung kann aber zu einer anderen Aussage führen:·um sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen, müssen die Vorfahrtsregeln zu 100% beherrscht werden. Unabhängig von der Tatsache, dass die anderen Fahrschüler noch weniger Aufgaben lösen konnten, hat unser Kandidat das Ausbildungsziel verfehlt.
  • Beispiel 2: Klinische Studien haben gezeigt, dass Kinder, die mit einem Lebensalter von 18 Monaten noch nicht frei gehen, ein hohes Risiko für eine im Weiteren auffällige motorische Entwicklung zeigen. Der Lebensalterszeitpunkt 18 Monate konnte aus der längsschnittlichen Verfolgung kindlicher Entwicklungsverläufe abgeleitet werden, dabei ist es zunächst unerheblich, dass ein Kind, das erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen beginnt, im Altersvergleich natürlich spätentwickelt ist. Ein Kind, das erst mit 14 Monaten zu krabbeln beginnt, ist im Verhältnis zum Altersdurchschnitt ebenfalls spät dran. Dennoch lässt sich allein mit der Tatsache, dass ein Kind erst spät krabbelt, keine ungünstige Prognose begründen, da in etwa jedes siebte, in seiner Entwicklung motorisch unauffällige Kind niemals krabbelt! Das Krabbeln oder besser das Ausbleiben des Krabbelstadiums allein ist zu keinem Zeitpunkt ein Kriterium für abweichende Entwicklung.

 

Testbestandteile: Was gehört zu einem Test?

In der Regel setzt sich ein Test aus den folgenden drei Elementen zusammen:

  • Manual,
  • Material sowie
  • Protokollierungs- und Auswertungsbestandteile.

 

Zu jedem Test gehört ein Testmanual oder Testhandbuch. Hier werden die inhaltlichen Grundlagen des Verfahrens dargestellt, die Konstruktionsschritte dokumentiert und die Durchführung, Auswertung und Interpretation des Verfahrens detailliert beschrieben sowie die Gütekriterien und Normen referiert. Der Umfang eines Testhandbuchs allein ist zwar noch kein Beleg für die Güte eines Verfahrens, auf der anderen Seite ist jedoch ein gewisser Mindestumfang notwendig. Vielfach finden sich in Tests lediglich ein- bis dreiseitige Handanweisungen, die unmittelbar auf die Durchführung des Verfahrens bezogen sind und dabei sowohl auf eine wissenschaftliche Einführung als auch auf eine methodische (statistische) Diskussion des Verfahrens verzichten. Wenn weiter auch kein Verweis auf eine Publikation in einer Fachzeitschrift erfolgt, sollte man in Bezug auf die Wissenschaftlichkeit des Verfahrens skeptisch sein.

Als Testmaterial bezeichnen wir an dieser Stelle solche Unterlagen, die von der zu untersuchenden Person in irgendeiner Form zu bearbeiten sind. Hierbei kann es sich zum Beispiel um Bälle, Springseile, Bausteine, Figuren, Puzzle oder Bilder, aber auch um Arbeitsblätter oder Materialien zum Ausfüllen und Gestalten handeln. Das Material ist von besonderer Bedeutung für den Grad der Standardisierung eines Tests: Ist es Bestandteil des Testpakets oder müssen die Materialien selbst beschafft werden? Im zweiten Fall ist immer zu bedenken, dass schon kleine Veränderungen von Materialanordnungen oder -beschaffenheit schwerwiegende Veränderungen der erfassten Leistungen nach sich ziehen können.

  • Beispiel: Ein Test möchte Gedächtnisleistungen erfassen. Eine Testaufgabe zu visuellen Gedächtnisleistungen im Kindergartenalter besteht aus drei Bildmotiven. Dem Kind werden die drei Motive 10 Sekunden gezeigt, dann sollen genau diese Motive aus einem erweiterten Pool von insgesamt sechs Bildern herausgefunden werden; das Kind soll darauf zeigen und so mitteilen, welche Bilder es gerade gesehen hat. Die Motivauswahl hat dabei einen entscheidenden Einfluss auf die Gedächtnisleistung: die Kombination Hund, Katze, Maus wird aus einem gemeinsamen Pool mit den weiteren Bildkarten Fahrrad, Auto, Flugzeug sicher besser erinnert als die Kombination Flugzeug, Katze, Banane in anschließender gemeinsamer Präsentation mit Fahrrad, Hund und Karotte. Drei Tiere vor dem Hintergrund von drei Transportmitteln zu erinnern ist in der Regel einfacher, als wenn innerhalb des Pools keine Klassenbildung möglich ist und zu jedem Motiv ein ähnliches Gegenstück vorhanden ist. Soll an dem Verschluss eines Gewürzglases das Handgeschick von Kleinkindern durch das Öffnen und Schließen (Rotationsbewegung) des Deckels überprüft werden, verändern variierende Beschaffenheitsmerkmale verschiedener Gläser wie zum Beispiel Deckeldurchmesser, Gewindesteigung, Spiel zwischen den Teilen oder Reibungswiderstände die Qualität und die Schwierigkeit der motorischen Leistungen. Mit verschiedenen Gläsern erhobene Leistungen sind dann oft nicht mehr vergleichbar.

Die Protokollierungs- und Auswertungsbestandteile umfassen schließlich die Protokollblätter (Testbögen oder Testhefte), Auswertungshilfen wie zum Beispiel Schablonen, Messgeräte oder Auswertungssoftware.

 

Aufgaben: Wozu setzt man Tests ein?

Mit einem Test können unter standardisierten Bedingungen Informationen gesammelt und regelgeleitet Aussagen formuliert werden. Prinzipiell sind zwei Arten von diagnostischen Aussagen zu unterscheiden:

  • Status- und
  • Verlaufsaussagen.
     

Statusdiagnostik

Mit einer Status- oder auch Querschnittsdiagnose soll eine Leistung oder eine Eigenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasst werden. Je nach konkreter Fragestellung des Diagnostikers können der Statusdiagnostik wiederum verschiedene Strategien zugrunde liegen. Das Kind wird zu einem Zeitpunkt untersucht und die Ausprägung des erfassten Merkmals wahlweise

  • zu den Leistungen einer Grundgesamtheit (Normierungsstichprobe eines Tests) in Beziehung gesetzt und somit eine relative Aussage getätigt, zum Beispiel: Michael zeigte in einem Intelligenztest Leistungen, die einem Intelligenzquotienten (IQ) von 103 entsprechen und somit als durchschnittlich zu bewerten sind;
  • anhand inhaltlicher Merkmale in eine kategoriale Aussage überführt.
  • Beispiel: Die Eltern eines sechsjährigen Kindes vermuten, dass ihr Kind hochbegabt ist und bitten den Kinderarzt oder Kinderpsychologen um eine Abklärung. Dieser führt einen Intelligenztest durch und gelangt zu folgender Aussage: das Kind zeigte Leistungen, die mit einem Intelligenzquotienten (IQ) von 120 beschrieben werden können. Aus diesem Intelligenzquotienten lassen sich weitere relative Aussagen ableiten, die zwangsläufig aus den Gesetzmäßigkeiten resultieren, die der Bestimmung des IQs zu Grunde liegen. So wissen wir zum Beispiel, dass einem IQ von 120 eine Leistung von ca. 1,33 Standardabweichungen oberhalb des Mittelwerts entspricht, was bedeutet, dass über 90% aller Kinder eine schlechtere Testleistung zeigen würden. Weiter lassen sich folgende kategoriale Aussagen formulieren: gemäß dem üblichen Sprachgebrauch ist ein IQ von 120 als überdurchschnittlich zu bewerten. Der Grenzwert für eine Hochbegabung wird jedoch im Allgemeinen durch einen IQ von 130 definiert, womit dem Kind zunächst keine Hochbegabung attestiert werden kann.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass relative und kategoriale Aussagen häufig nicht ganz unabhängig voneinander getroffen werden können. Viele klinische Entscheidungen wie zum Beispiel die Zuordnung eines Patienten zu einer klinischen Gruppe werden nach der Durchführung eines Screenings unter Zugrundelegung eines Grenz- oder Cut-off-Werts getroffen. Liegt ein Testergebnis vor, das jenseits einer gewissen Grenze (Cut-off) liegt, wird der Patient für auffällig (z.B. retardiert, aggressiv, sprachauffällig, geistig behindert) befunden, ein Testresultat oberhalb der Grenze gilt als unauffällig. Diese Grenze ist häufig aus einer zugrunde liegenden empirischen Verteilung abgeleitet, im Allgemeinen der Testwerteverteilung einer Normierungsstichprobe. Die Grenzwerte von Screeningverfahren orientieren sich dabei häufig entweder an Perzentilwerten oder an Streuungsmaßen, die mehr Informationen der zu Grunde liegenden Verteilung einbeziehen. Hierauf soll genauer eingegangen werden.

  • Perzentilwerte: In Normentabellen findet man zum Beispiel das 90. oder 95. Perzentil, also die Angabe eines Testrohwerts (Ergebniswerts), der die Grenze markiert, die von 90% oder 95% der Personen der Normierungsstichprobe nicht überschritten wurde. Oberhalb dieser Grenze rangierten (maximal) diejenigen 10% bzw. 5% Personen der Normierungsstichprobe mit der stärksten Merkmalsausprägung (z.B. der höchsten Ausprägung von Aggressivität). Perzentilwerte schneiden praktisch den äußeren Rand einer Verteilung ab, und zwar unabhängig davon, wie weit dieser äußere Bereich vom Durchschnittsbereich (z.B. dem Mittelwert) entfernt liegt.
  • Differenzierte Streuungsmaße: Solche Maße berücksichtigen stärker die Abweichung von der Mitte der Verteilung (z.B. Mittelwert der Normwerte). Diese Streuungsmaße (z.B. die Standardabweichung) können einerseits Auskunft darüber geben, dass sich ein Ergebniswert am Rand einer Verteilung befindet (z.B. weit unterdurchschnittlich ist), bieten aber zusätzlich die Möglichkeit, die Nähe zum Durchschnittsbereich einzuschätzen.
  • Beispiel: Muss eine Person in einem Leistungstest, um weit überdurchschnittlich abzuschneiden, sehr viel mehr Testaufgaben lösen (z.B. 17 gelöste Aufgaben) als dies Personen im Allgemeinen tun (z.B. Durchschnittsbereich 9-11 gelöste Aufgaben), oder reicht bereits eine geringere Abweichung vom Durchschnittswert (z.B. 13 gelöste Aufgaben), um ein weit überdurchschnittliches Ergebnis zu erzielen?

Streuungsmaße mit einem Bezug zur Verteilungsmitte liefern somit indirekt auch Informationen über die Differenzierungsfähigkeit des Tests: Verteilt sich der Merkmalsbereich (z.B. Leistungsbereich) auf viele Testwerte (hohe Differenzierung), oder umfasst jeder mögliche Testwert ein breites Leistungsspektrum (geringe Differenzierung)?
Qualitative, scheinbar kategoriale Statusaussagen haben also häufig eine statistische Grundlage, auch wenn die Festlegung der Grenzen oft pragmatischen Erwägungen folgt: Warum die Grenze für Auffälligkeit gerade am 95. Perzentil verläuft, erschließt sich häufig aus den Angaben des Testhandbuchs nicht. Warum eine Entscheidung in der Form getroffen wurde, kann man meistens aus der Verteilung der Normdaten entnehmen, die sich dem Statistiker zwar oft indirekt aus den Normentabellen erschließt, den meisten Anwendern aber verborgen bleibt.

 

Verlaufsdiagnostik

Verlaufsdiagnosen wollen Aussagen über Stabilitäten und Veränderungen im Zeitverlauf treffen. Besonders im Kindesalter müssen bei Verlaufsmessungen aber einige Punkte bedacht werden: Ist Stabilität oder sind Veränderungen zu erwarten? Steht mir ein Erhebungsinstrument zur Verfügung, das sich für den längsschnittlichen Einsatz eignet?
Um einen Verlauf überhaupt abbilden zu können, müssen Daten zu minimal zwei Erhebungszeitpunkten erfasst werden. In jeder kinderärztlichen Praxis werden routinemäßig Körpergröße, Körpergewicht im Verhältnis zur Körpergröße sowie dem Kopfumfang im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen protokolliert. Natürlich wird für ein normales Wachstum erwartet, dass die Körpergröße und der Kopfumfang kontinuierlich zunehmen, aber dies erfolgt nicht in allen Entwicklungsabschnitten in gleicher Weise. Zur Bewertung der Messergebnisse stehen für jeden Erhebungszeitpunkt querschnittliche Vergleichsdaten (verschiedene Perzentilwerte) zur Verfügung, so dass plötzliche (auf die letzte Messung bezogene) und kontinuierliche (mit der Zeit allmählich zunehmende) Wachstumsstörungen erkennbar werden.
Kontinuierliche Veränderungen über die Zeit sind auch für Leistungen und Fertigkeiten zu erwarten, die im Rahmen von Entwicklungsdiagnostik erfasst werden. Auch hier können relative, auf den Alterszeitpunkt bezogene Aussagen aus Altersnormen abgeleitet werden: Es werden die Testleistungen eines Kindes mit den Leistungen Gleichaltriger einer Normstichprobe verglichen. Eine besondere Schwierigkeit besteht jedoch darin, einen solchen Status wirklich entwicklungsbezogen zu interpretieren. Zwar fassen wir den Ergebniswert eines Entwicklungstests häufig retrospektiv als den zwischenzeitlichen Entwicklungsausgang oder prospektiv als die Ausgangsbedingungen für die zukünftige Entwicklung auf. Streng genommen sind solche Interpretationen jedoch spekulativ, solange nicht in Längsschnittstudien die Gültigkeit der Verlaufsaussage gestützt werden konnte.
Largo und von Siebenthal (1997, S. 202) weisen darauf hin, dass trotz jahrzehntelanger Bemühungen bei der Konstruktion von Entwicklungstests deren prädiktiver Wert in vielen Fällen sehr gering ist. So ist für normalentwickelte Kinder – also für Kinder, die Leistungen im Durchschnittsbereich zeigen – nur ein sehr schwacher Zusammenhang zwischen Entwicklungsquotienten in den ersten Lebensjahren und zum Beispiel dem Intelligenzquotienten im Schulalter feststellbar. Anders verhält es sich bei Extremgruppen: Liegt bei einem Kind am Ende des ersten Lebensjahres bereits eine deutliche Entwicklungsverzögerungen vor, wird es diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Schulalter aufweisen.
Aber auch die Testung zu mehreren Zeitpunkten ist anfällig für Fehlereinflüsse:

  • Vor allem bei einer zeitnahen Testwiederholung sind Lern- oder Übungseffekte zu erwarten. Diese können daraus resultieren, dass ein Kind zum Beispiel die Ergebnisse der Aufgaben eines Intelligenztests erinnert und allein schon deshalb bei der zweiten Erhebung eine bessere Testleistung erzielt. Nach Möglichkeit sollte also eine Parallelversion des Tests bei einer wiederholten Erhebung Verwendung finden. Aber auch in diesem Fall können Übungseffekte wirksam werden, die allein schon aus der Kenntnis des Aufgabentyps resultieren. Diese wiederum können für bestimmte Zeitabstände und bezogen auf bestimmte Stichproben durch den Testentwickler untersucht und somit bei der Auswertung kontrolliert werden. Lienert und Raatz (1998, S. 297) gehen jedoch davon aus, dass nur bei kurzfristiger Wiederholung ein bedeutsamer Wiederholungsgewinn zu verzeichnen ist, ohne dabei “kurzfristig” zu präzisieren. Im Allgemeinen werden sechs Monate Abstand zwischen zwei Testzeitpunkten als hinreichend betrachtet, um Lerneffekte weitgehend auszuschalten.
  • Weiter ist bei einem wiederholten Testeinsatz zu verschiedenen Zeitpunkten die Validität (Angemessenheit) des Verfahrens für die verschiedenen Alterszeitpunkte sicherzustellen. Dies kann für das Kindesalter von besonderer Bedeutung sein. Testaufgaben, deren Lösung bei jüngeren Kindern kreative Denkleistungen erfordern, können unter Umständen von älteren Kindern durch Erfahrung und Routine gelöst werden. Somit messen also die gleichen Aufgaben unter Umständen zu verschiedenen Alterszeitpunkten Leistungen, die auf unterschiedliche Art erbracht wurden und bilden dann etwas anderes als eine möglicherweise diagnostisch anvisierte Entwicklungsreihe ab: Statt zeitgebundener qualitativer Veränderungen wird lediglich ein Leistungszuwachs erfasst.
  • Ein weiteres Problem bei der längsschnittlichen Untersuchung liegt vor, wenn das getestete Kind zu den verschiedenen Erhebungszeitpunkten jeweils an Normen beurteilt wird, die nicht von ein und derselben Altersgruppe (Kohorte) stammen. Es ist üblich, dass zum Beispiel die Normen für verschiedene Altersgruppen eines Intelligenztests zeitgleich an Kindern verschiedenen Alters erhoben werden. Somit liegen dann verschiedene querschnittlich erhobene Normen vor, die nicht ohne weiteres zu Entwicklungsreihen kombiniert werden dürfen. Hierzu ein Beispiel:
     
  • Beispiel: Dieter wurde 1950 geboren. Als Kind spielte er viel auf dem Bürgersteig vor der Haustür. Zu seinen bevorzugten Spielzeugen gehörten mit drei Jahren ein Steckenpferd, mit vier Jahren ein Holzroller und mit fünf Jahren Rollschuhe. Kevin wurde 1990 geboren. Auch er spielte viel auf der Straße. Seine bevorzugten Spielzeuge waren mit drei Jahren ein Rutscheauto (Bobbycar), mit vier Jahren ein Tretauto (Kettcar) und mit fünf Jahren ein Fahrrad mit Stützräder. Dieter nahm im Jahr 1955 an der Normierung eines Motoriktests teil, den auch Kevin in den Jahren 1992 bis 1995 jährlich einmal absolvierte. Dabei wurden für Kevin unter Orientierung an den Normen von 1955 nur unterdurchschnittliche Leistungen im Bereich solcher Fertigkeiten gemessen, die durch Gleichgewichtskontrolle beeinflusst sind. Weiter vergrößerte sich Kevins Abstand vom Altersdurchschnitt mit zunehmendem Alter, also von Testung zu Testung, immer weiter. In einem aktuellen Motoriktest (Normierung 1992) zeigte Kevin aber Leistungen, die sogar im oberen Durchschnittsbereich angesiedelt sind.Bei der Interpretation dieser zunächst widersprüchlichen Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass Dieter und Kevin in Bezug auf ihr Spielzeug unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen ausgesetzt waren. Die Spielgewohnheiten und das eher typische Spielzeug der Kinder aus der Kohorte von Dieter war der Entwicklung der Gleichgewichtskontrolle viel förderlicher als heutige Spielgewohnheiten und als es das eher heute verbreitete Spielzeug von Kevin ist. Somit waren die durchschnittlichen motorischen Leistungen der Kinder in den 50er Jahren zu jedem Alterszeitpunkt besser als heute. Die verschiedenen Kohorten zeigten aber auch andere Entwicklungsverläufe: die Differenz der motorischen Leistungen zwischen den Kindern aus Dieters Kohorte und den Kindern aus Kevins Kohorte wächst mit zunehmendem Alter.

Solche Effekte können auch bei zeitlich näher zusammenliegenden Kohorten auftreten. Im Allgemeinen werden sie aber bei der zeitlich parallelen (auf mehrere Querschnitte zurückgehenden) Normierung verschiedener Altersgruppen eines Tests nicht kontrolliert.

[überarbeiteter Auszug aus Petermann & Macha, 2005b]

 

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